Dietmar Hörnig

 

wurde 1946 im Erzgebirge geboren.

 

Der studierte Ökonom lebt seit 2021 in Breitungen. Bekannt wurde er durch seine Lesung auf einem Floß auf dem Suhler Herrenteich im Rahmen der 5. Suhler Lesenacht.

 

Er schrieb vier Bücher, darunter ein Kindebuch, ein Theaterstück für das Laientheater Birkenfeld/ Hildburghausen und eine Komödie für das Fresstheater in Chemnitz.

 

Seine literarische Liebe gilt der Satire und dem Humor.

 

Er ist Gründer der Suhler Kinderschreibwerkstatt, leitet die Kinderschreib –AG an der Regelschule in Breitungen und  eine Schreibwerkstatt für Erwachsene in Breitungen.

 

Erreichbar ist der Schriftsteller und Autor unter

E-Mail: d.hoernig@gmx.net

 

Einen kleinen Einblick in die schriftstellerische Tätigkeit von Dietmar Hörnig bekommen Sie in den folgenden drei Texten. 

 

Clara's Geheimnis
 
„ Opa, wollen wir in den Wald gehen? Ich muss dir etwas zeigen.“
„ Meinetwegen. Da bin ich aber gespannt. Was möchtest du mir denn zeigen?“, fragte ich interessiert zurück.  
„ Das ist ein Geheimnis. Du darfst aber nicht reden und musst ganz still sein, sonst ist es kein Geheimnis. Kommst du mit?“, wollte meine fast fünfjährige Enkeltochter Clara fordernd wissen und zog mich am Arm aus meinem Gartenstuhl. Bis zum Wald war es nicht weit. Ungezählte Male waren wir dort.  Auf dem Weg dahin versuchte ich mehrfach, ihr das Geheimnis zu entlocken. Vergeblich!
Am Waldrand angekommen, bat sie mich zu setzen. Ich suchte mir einen der breiteren Fichtenstämme aus, um mich halbwegs bequem anlehnen zu können. Clara setze sich daneben und schaute mich mit ernstem Blick an. Dann erhob sie ihren kleinen Zeigefinger und befahl mir im strengen Ton: „ Du musst jetzt 10 Minuten ganz ruhig sitzen bleiben und darfst nicht reden.“
„ Ja, und dann?“, bat ich neugierig um eine Antwort.
„ Du musst still sein und aufmerksam die Natur beobachten und mir dann sagen, was du gehört und gesehen hast. Du musst dich konzentrieren, sonst geht das nicht!“, lautete ihre Anweisung.
„ Und woher weiß ich, wenn die 10 Minuten vorbei sind?“, fragte ich ungläubig.
„ Na, wenn ich es dir sage“, war die knappe Antwort, die sie mit einem Finger vor meinem Mund verdeutlichte.
Was soll das werden, dachte ich mir. Was soll ich schon sehen und hören? Ich schaute über das weite Feld, das in der Ferne  wie ein ausgebreiteter Teppich vor den sanften Hügeln lag. Auf der rechten Seite konnte ich den langgezogenen Seitenarm des Sees erkennen. Mein Blick wanderte zurück auf die linke Seite, wo eine steil ansteigende Böschung die dahinterliegende Fernverkehrsstraße verdeckte. Ich fragte mich, was ich denn noch sehen soll?  Mir war klar, die 10 Minuten würden lange dauern. Da ich nichts entdeckte, was noch erwähnenswert wäre, widmete ich mich dem Hören. Ich schloss die Augen und vernahm die mehr oder minder lauten Geräusche der vorbeifahrenden Autos. Stimmt, auch vereinzeltes Vogelgezwitscher mischte sich in die Rollgeräusche. Mit geöffneten Augen hatte ich die lustigen Gesellen
gar nicht wahrgenommen. Ich schlug meine Augen wieder auf und mein kleiner Liebling schaute mich fragend an, hielt mir aber erneut ihren Finger vor dem Mund. Irgendwie war mir unwohl, was sollte ich sagen, wenn ich wieder Sprecherlaubnis bekam? Am Himmel zog ein Flieger in großer Höhe ein weißes Band hinter sich her. Das war`s. Eigentlich hatte ich doch alles gesehen. Wann endlich erlöst mich das Kind und gibt ihr Geheimnis preis? Gefühlte Ewigkeiten später erklang: „ Jetzt, darfst du reden. Und was hast du gesehen und gehört?“, wollte sie wissen.
„ Nun gut, also ich habe sicher das Gleiche gesehen und gehört wie du auch. Wie kommst du denn überhaupt auf eine solche Idee?“, fragte ich skeptisch.
„ Na, wir machen das oft in unserem Waldkindergarten. Wir sitzen am Waldrand und müssen uns merken, was wir beobachtet und gehört haben. Dann muss jeder von uns sagen, was er gehört und gesehen hat. Einmal habe ich sogar einen Fuchs entdeckt“, erklärte sie voller Stolz.
„ Schwindelst du auch nicht?“, fragte ich mit einem Lächeln.
„ Echt, den hab ich wirklich gesehen. Aber was hast du gesehen?“, fragte sie erwartungsvoll.
„ Also gut. Ich habe die Wiese, die Hügel, die Böschung, unseren gegangenen Weg und ein Flugzeug am Himmel gesehen. Ach ja,  und ich habe  Autos und Vogelstimmen gehört. Ja, das war es eigentlich“, antwortete ich erleichtert.
„ Mehr nicht?“, fragte Clara sichtlich enttäuscht.
„ Ja, was soll ich denn noch gesehen haben? Du bist jung, siehst und hörst natürlich besser als dein Opa. Aber ehrlich, ich kann mir nicht vorstellen, dass du viel mehr gesehen hast als ich.“
„Ach Opa, du hast nicht richtig hingesehen und hingehört. Wir haben im Kindergarten zuerst auch nicht alles gesehen und bemerkt. Ist aber nicht so schlimm. Soll ich dir mal verraten, was ich gesehen und gehört habe und du nicht?“, wollte sie siegessicher wissen.
Ich nickte zustimmend und war gespannt.
Plötzlich erhob sie sich, ging über den Feldweg hinüber auf die Wiese und pflückte Blumen. Was macht sie denn, überlegte ich. Sie hat aber schnell vergessen, mir ihr Geheimnis anzuvertrauen.
Die Blümchen vor sich haltend kam sie auf mich zu und zeigte das bunte Sträußchen.
„ Da wird sich deine Mama aber freuen, dass du ihr Blumen gepflückt hast“, sagte ich begeistert.
„ Opa, die Blumen sind für dich. Du hast sie ja nicht gesehen. Dabei ist die ganze Wiese voller Blumen.  Vielleicht ist deine Brille kaputt?  Oder du hast die Blumen, die Schmetterlinge und die Bienen auch gesehen, nur vergessen, mir zu sagen, dass du sie gesehen hast. Oma sagt auch, dass du viel vergisst. Stimmt`s?“ Sie lachte und reichte mir die Blumen. Vielleicht wollte sie mich auch ein wenig trösten, denn ich schaute ziemlich verlegen drein.
Ich wollte ihr gerade antworten, da bückte sich Clara und erfasste mutig mit Daumen und Zeigefinger einen Regenwurm, den ich an dieser Stelle nie vermutet hätte, hielt ihn mir vors Gesicht und sagte: „ Der war direkt vor deinem Füssen und du hast ihn übersehen. Du brauchst wirklich eine neue Brille.“
Ich war sprachlos. Clara hatte Recht.  Die wunderschönen Blumen, die bunten Schmetterlinge und vieles mehr hatte ich natürlich gesehen, aber alles als normal, als selbstverständlich befunden und mich nur auf die großen Dinge konzentriert. Ich fragte mich, ob mir der Blick für die eigentlichen Schönheiten der Natur verloren gegangen war? Betrachtete ich die Welt nur oberflächlich, großzügig? Hatte ich verlernt, mich über die kleinen, teils unscheinbaren Selbstverständlichkeiten zu freuen? Ein kleines Mädchen musste mich erst daran erinnern, dass ich das Bewundernswerte des Alltäglichen nicht als selbstverständlich hinnehmen darf und mich mit Dankbarkeit daran erfreuen sollte. Die Welt mit dem Blick eines Kindes zu sehen, war das ihr unausgesprochenes Geheimnis? Hatte ich vergessen, dass den kleinen Dingen des Lebens jener Zauber innewohnt? Nein, das hatte ich gewiss nicht, aber ich ging leichtfertig damit um. Das musste ich ändern. Selbstverständlichkeit umtauschen in Dankbarkeit, so einfach und doch so schwer?! Ich spürte für einen Moment, wie meine Augen feucht wurden.
„ Opa, weinst du?“, fragte Clara erschrocken und besorgt.
„ Nein mein Liebling. Weißt du, das ungewohnte lange Hinschauen sind Opas Augen nicht gewöhnt.  Aber ich werde mir eine neue Brille anschaffen. Versprochen! Leider gibt es die bei keinem Optiker“, beruhigte ich sie mit einem Lächeln.
Dann machten wir uns auf den Weg nach Hause. Clara schenkte ihrer Mama die Blümchen mit Freude und Stolz. Meine Tochter nahm meinen Liebling in ihre Arme und küsste sie. An mich gerichtet, stellte sie die Frage: „ Und, was habt ihr schönes gemacht?“
Clara gab mir ein Zeichen nichts zu erzählen und sagte mit einem Lächeln: „ Das ist unser Geheimnis“  

 

 

Großes Orchester Deutschland  
                                   
 
Das einst weltweit anerkannte Große Orchester Deutschland hat an Ruhm und Bewunderung verloren. Es wird teils sogar belächelt. Wen wundert´s, wenn es dem Orchester unter Leitung ihres Chefdirigenten nur selten gelingt, ein Stück ohne Misstöne, Disharmonien und Dissonanzen über die Bühne zu bringen? Früher, da haben die Leute Beifall gespendet. Und heute? Ganz gleich, ob heute das gesamte Orchester spielt,  oder ob nur Solopartien bzw. Orchestergruppen erklingen, statt Beifall schütteln die Zuhörer nur noch die Köpfe und Buh – Rufe hallen durchs Land. Meist sind es Verwandte oder Sympathisanten, die sich zu einem mehr oder minder starken Applaus durchringen können. Das einst verwöhnte Publikum klatscht höchst selten. Warum auch?
 
Selbst dem nicht vertrauten Zuhörer und vom Wohlklang der Musik verwöhnten Publikum bereiten die Misstöne der alpinen Blechbläser in ihren Sepplhosen und Dirndln wenig Freude. Für Freunde des Schuhplattlers sicher ein Genuss. Soll´n sie doch auf der Wies´n spielen. Da gibt es genügend Zuhörer, die sich auch ins musikalische Koma saufen. Es sind aber nicht nur die Trachtenmusiker, die Unruhe ins Orchester bringen. Von der Bläsergruppe hört man häufiger den Wunsch, Marschmusik  spielen zu dürfen. Der große Zapfenstreich soll weltweit erklingen, wenngleich sich die Instrumente in einem teils erbärmlichen Zustand befinden. Das ist der Grund, warum kaum eines der Instrumente den richtigen Ton trifft. Und die, die noch funktionieren werden großzügig verschenkt oder verscherbelt. Möglicherweise sind die Forderungen der Militärmusik- Liebhaber, stur stracks immer ran Marschmusik zu spielen, ein Grund für die Disharmonien im Spiel des Orchesters. Marschmusik im Ausland, das fordern sogar die Flöten und Blockflöten. Sie verzichten neuerdings darauf, den Marschmusikern die Flötentöne beizubringen.
Selbst wenn sich die Pfeifen mit den Harfen und Klarinetten zusammenschließen, die Misstöne bleiben unüberhörbar. Die selbstverliebte Konzertmeisterin tingelt mit ihrer Kinderrassel rund um die Welt, in der Hoffnung, dass das deutsche Sinfonieorchester auf internationalen Bühnen mehr Auftritte bekommt. Gesponsert werden die Auftritte vom Orchester selbst.  
 
Dem verwöhnten Zuhörer ist nicht entgangen, dass die Anzahl der Querflöten deutlich geringer geworden ist, weil diese sich plötzlich für die Blockflöte entschieden. Von den restlichen Pfeifen ist kaum noch etwas zu hören. Gut, ab und zu sind angenehmere Töne im Klangkörper zu vernehmen. Dann keimt so etwas wie unbegründete Hoffnung auf.
 
Und sollte es dem Orchester in bestimmten Passagen tatsächlich gelingen, harmonische Töne zustande zu bringen, dann spielen plötzlich die Kontrabässe und Fagotte nach Belieben auf und sorgen für noch größere Disharmonien und bringen obendrein das ganze Orchester aus dem Takt, falls sie nicht gerade unter lautem Protest den Saal verlassen.
 
Aus gut unterrichteten Künstlerkreisen ist zu hören, dass sich der Chefdirigent und die Konzertmeister häufiger, sogar heimlich hinter verschlossenen Türen treffen, um einerseits wieder Harmonie und Wohlklang zu erzielen und um andererseits das Konzept für einen neuen Spielplan bei wechselnden Besetzungen zu beraten. Bei diesen Zusammenkünften habe man die Ursachen für die orchestrale Misere ausgewertet und erkannt. Sie lägen nicht primär im Orchester selbst, sondern wären vordergründig beim verständnislosen Publikum zu finden, das offensichtlich über wenig Liebe zu dieser Art Musik verfügen würde. Jeder Kenner der Musik weiß, in einem Orchester muss das Verhältnis der einzelnen Instrumente stimmen. Zu viele Pfeifen erzeugen genauso wenig den gewünschten Klang, wie zu viele Blas – oder Schlaginstrumente.
 
Alle Dirigenten hatten in der Vergangenheit eine Partitur vor sich auf dem Pult liegen dirigierten mit dem Rücken zum Publikum. Heute scheint es umgedreht, der Dirigent wendet dem Orchester seinen Rücken zu und versucht emotionslos dem Publikum scheinbar eine Gebrauchsanleitung vorzulesen, ohne auf die Partitur zu blicken. Unverständlich ist dem Publikum, warum im Orchester die Instrumente öfter gewechselt werden. Es scheint sinnvoll, wenn sie alle erstmal das eigene Instrument beherrschen lernen würden, bevor die andere traktieren. Vielleicht sollten sich alle Mitglieder des Orchesters geschlossen in die Deutsche Staatsoper begeben, um gemeinsam Beethovens 9. Sinfonie mit Schillers Schlusschor: „Ode an die Freude“ zu hören. Die einzelnen Orchestergruppen könnten dann vereint einstimmen: „ Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein…“ Ich sehe schon die Freudentränen in den Gesichtern. Aber so wie es aussieht, haben sie sich für Beethovens 5. Sinfonie, die Schicksalssinfonie, entschieden.

 

Lied am Abend

 

Wenn der Amsel frohe Weise

durch der Bäume Wipfel geht,

klingt der Buchfink eher leise

von des Nachbarn Zaunstaket.

Träumend lausch ich hingegeben,

nehm ihr Lied mit in die Nacht.

Melodien erfüllt wie mein Leben,

manchmal laut dann wieder sacht.

Leis hör ich noch in der Ferne

zwitschernd einen Lerchenchor.

Am Himmel steh`n die ersten Sterne,

stille Schönheit tritt hervor.